Letzte Woche hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die zweite Stufe des dreistufigen Notfallplans Gas ausgerufen. Grund ist die massive Störung der Gasversorgung in Deutschland. Derzeit liefert Russland nur rund 40 Prozent des Gases durch die Pipeline Nord Stream I nach Deutschland. Zudem steht die jährliche Wartung der Pipeline bevor, die ab dem 1. Juli zu einem Stopp der Gaslieferungen für mindestens 10 Tage führen wird. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) beschäftigt sich mit der Option, dass die Pipeline nach dieser Wartung nicht wieder in Betrieb genommen wird.
Selbst wenn die russischen Gaslieferungen nach der Wartung wieder das Niveau von 40 Prozent erreichen sollten, ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis zum Winter kaum mehr erreichbar. Daher hat das BMWK die „Alarmstufe“ ausgerufen und die europäischen Partner über diesen Schritt informiert. Stufe drei, die sogenannte „Notfallstufe“, ist für den Fall vorgesehen, dass das preisbasierte Verteilen durch die Märkte aufgrund von extremer physischer Knappheit nicht mehr funktioniert. In der Notfallstufe teilt die Bundesnetzagentur (BNetzA) als „Bundeslastverteiler“ das Gas hoheitlich zu.
Drei Szenarien-Berechnungen zur Gasversorgungslage
Die BNetzA hat jetzt drei Szenarien berechnet und gibt damit einen Ausblick auf die Mengenentwicklung auf dem deutschen Gasmarkt bis zum Juni 2023. Alle Szenarien zeigen eine gestörte Gasversorgung. Sie unterscheiden aber danach, ob das Gas durch die Nord Stream I nach der regulären Wartung im Juli zumindest mit 40 Prozent der Kapazität wieder fließen wird oder danach bei 0 Prozent bleibt.
Das hier dargestellte Modell simuliert den bilanziellen Ausgleich von Erdgas-Ein- und Ausspeisungen. Im Falle von Szenario 1.2 ergibt sich ein Gasmangel ab Anfang Februar 2023, der ein Defizit im Winter von 19 TWh zur Folge hätte. Im Szenario 2.2 entsteht bereits ab Mitte Dezember 2022 ein Gasmangel und das Defizit würde sich im Winter auf 107 TWh belaufen. Prozentual entspricht dies 10 Prozent des deutschen Jahresverbrauchs. Bei Szenario 2.2.1 tritt ein Gasmangel ab Mitte Januar 2023 ein und das Gasdefizit im Winter würde 44 TWh betragen.
Weitere Grafiken und einen Überblick zu den Berechnungen stellt das BMWK im Netz bereit.
Unmittelbare Auswirkungen für die Unternehmen
In der jetzt geltenden sogenannten Alarmstufe kümmern sich die Marktakteure noch in Eigenregie um eine Entspannung der Lage. Es werden noch keine nicht-marktbasierten Maßnahmen ergriffen. Das Preisanpassungsrecht nach § 24 EnSiG wurde noch nicht scharf geschaltet. Nach § 24 EnSiG hätten alle betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette das Recht, ihre Gaspreise unabhängig von den Vertragsregelungen gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen. Allerdings: Es mehren sich Anzeichen für eine mögliche Änderung der Regelung. Falls sich diese bewahrheiten, würde das Preisanpassungsrecht zurückgenommen und den Lieferanten eine Umlagen-finanzierte Hilfe zukommen. Sobald es hierzu Konkretes gibt, werden wir Sie informieren.
Weitere Maßnahmen des BMWK
Als Reaktion auf die Drosselung der Gaslieferungen aus Russland will die Bundesregierung weitere Maßnahmen ergreifen, um Gas einzusparen. Dazu wird der Einsatz von Gas für die Stromerzeugung und die Industrie gesenkt und die Befüllung der Speicher weiter forciert. Das BMWK will über ein Auktionsmodell noch in diesem Sommer die Industrie zur Einsparung von Gas anreizen. Damit soll von Unternehmen eingespartes Gas zum Befüllen der Gasspeicher genutzt werden – für das Bereitstellen bekommen diese Unternehmen eine finanzielle Entschädigung. Der Marktgebietsverantwortliche Trading Hub Europe (THE), die Bundesnetzagentur (BNetzA) und das BMWK entwickeln ein Gas-Regelenergieprodukt, damit Industriekunden gemeinsam mit ihren Lieferanten gegen eine rein arbeitspreisbasierte Vergütung ihren Verbrauch in Engpasssituationen reduzieren. Dafür stellen sie dem Markt Gas zur Verfügung (Demand-Side Management). Die Resonanz ist grundsätzlich positiv, da ein marktwirtschaftliches Modell besser sei als „staatliche Zwangsmaßnahmen“. Gleichzeitig sehen viele Industriezweige wenig Spielraum für kurzfristige Einsparpotenziale.
Kohle statt Gas – Erster Hebel zur Gasverbrauchsreduktion trifft Stromerzeugung
Um den Gasverbrauch in der Stromerzeugung zu senken, wird die Bundesregierung zusätzliche Kohlekraftwerke aus der Bereitschaft abrufen. Wir berichteten bereits über das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, das jetzt Form annimmt. Dazu hat die Bundesregierung die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, um Gas in der Stromerzeugung zu ersetzen. Allein 2021 trug Gas zu rund 15 Prozent der öffentlichen Stromerzeugung bei. Parallel arbeitet das BMWK an der notwendigen Rechtsverordnung, um die Gasersatzreserve gleich nach Inkrafttreten in Gang setzen zu können.
VEA-Zwischenfazit
Die Bundesregierung erweitert ihr Maßnahmenportfolio, um die Gasversorgung in Deutschland sowie die Funktionsfähigkeit der nationalen Industrie zu gewährleisten. Für den energieintensiven Mittelstand sind die Initiativen hilfreich – es ist jedoch fraglich, ob diese ausreichen. Insbesondere mit Blick auf eine mögliche weitere Verschärfung der Gasversorgung in Deutschland. Das Ausrufen der „Alarmstufe“ reflektiert die Entwicklungen der Gasversorgung und ist gleichzeitig als Warnsignal an Wirtschaft und Bevölkerung zu verstehen, die Engpässe in der Gasversorgung ernst zu nehmen. Um Verbraucher zu schützen, wurde das Preisanpassungsrecht nach § 24 EnSiG noch nicht aktiviert und es bleibt auch abzuwarten, ob dieses überhaupt umgesetzt wird. Für die Industrie bleiben die hohe Preisbelastung und die hohe Versorgungs-Unsicherheit bestehen.
Unsere VEA-Stellungnahme zum Energiesicherungsgesetzt (EnSiG) lesen sie unter diesem Link.
Die Gasmangellage gewinnt an Form und Präsenz – der VEA berät Sie gern und sichert Ihnen so weiterhin wirtschaftlichen Erfolg. Sprechen Sie mit Ihrem VEA-Berater.